Godnatt

Nu hade jag tänkt lägga mig.. Är faktiskt förvånad att jag är trött sådär tidigt eftersom jag sov så länge i morse. Blir en vanlig natt med gossip och med mitt duntäcke hihi.

Lite planer inför imorgon är väl, att först gå på svenskan, fixa lite inför vårt tal för FN-veckan. Sen har jag håla,  någon som har rast/håla tid att träffas då kanske :)? neeed company. Sen har vi filosofi sen tar jag mig hemåt och plugga lite sen ner till stan igen för att fika med Daniela :) U know where.. Sen ska jag nog till Linus får se hur det blir :)

Godnatt alla fina

Endlich ist Aids auch in Deutschland zum Thema geworden. Das muß jeden freuen, der den Verlauf der Epidemie in Amerika kennt, und der weiß, daß sie sich - mit etwa dreijähriger Verzögerung - genauso in Europa ausbreiten wird. Alle Deutschen, Franzosen, Holländer, Schweizer und Italiener zum Beispiel, die im Laufe der nächsten paar Jahre an Aids erkranken, sind ja bereits heute infiziert. Daran läßt sich schon nichts mehr ändern. Die Frage ist nur, ob man jetzt durch eine sofortige und massive Vorbeugung Neuinfektionen verhindern oder wenigstens ihre Zahl verringern kann. Dann bestünde die Chance, daß die europäische Kurve der Erkrankungen in etwa 4 bis 5 Jahren abflacht und sogar fällt.

 Die mißverstandene Krankheit

 Aids ist auch medizinisch zum größten Teil noch ein Rätsel. Schon die verschiedene Bezeichnung des Aids-Virus durch verschiedene Forscher (LAV: Montagnier; HTLV-III: Gallo; ARV: Levy; neuerdings HIV) ist mehr als ein Streit um Worte. Auch die Abgrenzung der Krankheitsstadien voneinander und die Klassifizierung der Risikogruppen sind immer noch kontrovers. Dahinter verbergen sich verschiedene Grundannahmen und Forschungsansätze, medizinische Richtungskämpfe sowie ein Wettstreit um Finanzen. Aber selbst von solchen Fragen abgesehen, ist das Bild durchaus nicht klar: Die geeigneten Tiermodelle, mögliche "Ko-Faktoren", ja selbst die genauen Übertragungswege sind durchaus noch umstritten. Fast jeder Tag bringt hier noch neue Erkenntnisse und Diskussionen. Einstweilen muß man sich in der Praxis noch viel auf Analogien zu anderen Virusinfektionen stützen, auf allgemeine "klinische Erfahrung" und den "gesunden Menschenverstand". Hinzu kommt noch, daß die klinische Diagnose Aids erst ausgesprochen wird, wenn es "zu spät" ist, d. h. wenn sich eine solche besondere Konstellation und Häufung von Symptomen (eben ein Syndrom) eingestellt hat, daß der Patient mit den bisher bekannten Mitteln nicht mehr zu heilen ist. Mildere Fälle werden als „Vor-Aids“ oder „ARC“ (Aids-Related Complex) bezeichnet und bisher in der Statistik nicht mitgezählt. Sie sind aber viel zahlreicher als die eigentlichen Aids-Fälle, und noch viel zahlreicher wiederum sind die Infizierten ohne Symptome. Ob, wann und wie viele Männer und Frauen aus diesen Gruppen wirklich an Aids erkranken, ist zur Zeit nicht bekannt. Es ist auch noch nicht einmal sicher, nur wahrscheinlich, daß sie ihr ganzes Leben lang infektiös bleiben, also andere anstecken können.

 All dies genügt aber schon, um deutlich zu machen, daß der leider schon weitverbreitete Sprachgebrauch irreführend ist: Genaugenommen gibt es keine „Ansteckung mit Aids“ oder einen „Aids-Test“ für Gesunde, sondern man hat es hier immer nur mit einem Virus zu tun, das bei damit infizierten Menschen im Laufe der Zeit vielleicht zu Aids führen kann, aber nicht muß.

 Solche sprachlichen Ungenauigkeiten mögen ja noch hingehen. Schlimmer ist schon das Mißverständnis von Aids als einer „Schwulenpest“ oder, etwas weniger engstirnig, als einer Krankheit, die nur soziale Randgruppen befällt. Dieser im Wortsinn fatale Irrtum hat gerade am Anfang die notwendigen Forschungsgelder zurückgehalten und eine wirksame Vorbeugung ausgerechnet zu einem Zeitpunkt verhindert, als sie noch Entscheidendes hätte erreichen können. Mittlerweile ist vielen klar, daß Aids vor allem eine sexuell übertragbare Krankheit ist. Es hat aber noch nie eine Geschlechtskrankheit gegeben, die auf eine bestimmte Menschengruppe beschränkt geblieben wäre. Die Ausbreitung ist nur eine Frage der Zeit. Also sind wir potentiell alle bedroht, wenn wir nicht sexuell abstinent oder in exklusiven Paarbeziehungen leben.

 Das größte, gefährlichste und bisher leider noch nicht korrigierte Mißverständnis liegt jedoch in der Annahme, Aids sei ein rein medizinisches Problem, das man zu seiner Lösung getrost den Medizinern überlassen sollte. Tatsächlich aber hat nicht nur die Krankheit selbst, sondern auch ihre Bekämpfung solche weitreichenden sozialen, ja politischen Implikationen, daß sie sehr wohl unsere ganze freiheitlich-demokratische Gesellschaftsordnung in Gefahr bringen können.

 Die ungeahnten Sozialprobleme

 Vor etwa zwei Jahren, als den Amerikanern zum erstenmal die Gefährlichkeit von Aids bewußt wurde, reagierten viele von ihnen mit Panik: Polizisten verlangten Gummihandschuhe und Gesichtsmasken für den Umgang mit „Schwulen“, Fernsehtechniker legten die Arbeit nieder und verließen das Studio, als Aids-Kranke in einer „Talk Show“ auftreten sollten, selbst Krankenschwestern weigerten sich, solche Kranken anzufassen oder zu pflegen usw. Inzwischen ist zwar durch verstärkte Aufklärung viel von dieser unbegründeten Angst abgebaut worden, doch statt dessen kommt es nun bereits zu einer zweiten und viel schlimmeren, weil „offiziellen“ Panikwelle. Nur drei Beispiele:

 1 . Die Gesundheitsbehörde des Bundesstaates Colorado verlangt nun die namentliche Meldung aller „Testpositiven“ (d. h. mit dem Aids-Virus Infizierten), „um ihre Sexualpartner aufzuspüren und zu beraten“.

 2. Die amerikanischen Streitkräfte (Armee, Luftwaffe und Marine) haben beschlossen, alle Soldaten auf Aids-Virus-Infektion zu testen, „um die Gesundheit der Truppe zu schützen“.

 3. Amerikanische Kranken- und Lebensversicherungen haben angekündigt, daß sie in Zukunft ihre Leistungen von einem negativen Testergebnis abhängig machen wollen, „um die Versicherungskosten für jedermann sonst erschwinglich zu halten“.

 Diese Maßnahmen sind natürlich zum Teil auch von den legitimen Eigeninteressen der betreffenden Institutionen diktiert und mögen selbst vielen anderen zunächst plausibel und vernünftig erscheinen. Ihre gesellschaftlich katastrophalen Nebenfolgen enthüllen sie erst auf den zweiten Blick:

 1. Der Plan Colorados etwa wird unweigerlich dazu führen, daß sich sofort sehr viel weniger Leute testen lassen. Nicht nur das - besorgte Einwohner, die es sich finanziell leisten können, werden für ihren Test in einen anderen Bundesstaat reisen, etwa nach Kalifornien, wo die Anonymität gewährleistet ist. Damit vermeiden sie dann nicht nur ihre eigene Registrierung, sondern auch die Erfassung ihrer Sexualpartner. Nicht zu Unrecht wird nämlich weithin befürchtet, daß das Register nicht  geschützt bleibt und dann zur beruflichen und finanziellen Diskriminierung mißbraucht wird. Auf jeden Fall ist damit das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient so gefährdet, daß ein umfassender Erfolg bei der Bekämpfung der Krankheit fraglich wird. Selbst wenn nämlich in Colorado jemand durch einen amtlich bekanntgewordenen Partner namhaft gemacht werden sollte, so wird er auch in diesem Fall seine anderen Partner nicht nennen. Zu einer wirklichen Vorbeugung trägt das ganze Projekt daher wenig bei. Im Gegenteil, letzten Endes wird es wohl mehr Infektionsketten unsichtbar machen als aufdecken. Die einmal registrierten Männer und Frauen aber werden als Zufallsauswahl von potentiellen Diskriminierungsopfern in ständiger Angst leben - kein Zustand, der ihrer Gesundheit förderlich ist oder ihr Verantwortungsbewußtsein stärkt.

 2. Noch fragwürdiger ist die Absicht, alle Soldaten zu testen. Beim Militär ist die Vertraulichkeit der Testresultate zumindest gegenüber anderen Regierungsstellen nicht glaubwürdig gewährleistet. Selbst als „untauglich“ abgewiesene Rekruten dürften also keine große Hoffnung auf hundertprozentigen Datenschutz hegen. Hinzu kommt noch, daß im amerikanischen Heer homosexuelles Verhalten allein schon als Ausschließungsgrund gilt und daß sich für die Betroffenen in der Vergangenheit erhebliche Diskriminierungen auch im anschließenden Zivilleben ergeben haben. Der anfängliche Musterungstest und die fast zwangsläufig folgende Durchtestung des ganzen Heeres läßt also befürchten, daß man eine wachsende Zahl von Zurückgewiesenen und Entlassenen produziert, die dann für den Rest ihres Lebens als Bürger zweiter Klasse markiert sind.

 Das wäre auch für einen entsprechenden Plan der deutschen Bundeswehr zu bedenken. Ja, hier könnten die Folgen sehr leicht noch viel schlimmer sein. In den USA besteht ja keine Wehrpflicht. Wer nicht getestet werden will, braucht also nur einfach wegzubleiben. In Deutschland ist die Lage aber anders. Hier könnte sich kein einziger junger Mann (schließlich wohl auch kein Wehrdienstverweigerer) dem Test entziehen. Sicher, am Anfang wird man bei den 18- bis 19jährigen kaum Testpositive finden. Insofern scheint die Sorge verfrüht. Es ist aber nur eine Frage der Zeit, bis die Zahlen steigen, und die Registrierung beim „Bund“ bleibt dann für viele ein lebenslanges Faktum. Will man hier nicht ebenfalls Bürger zweiter Klasse schaffen, so wird man wohl, der bürokratischen Logik folgend, am Ende die gesamte Bevölkerung testen müssen, wie es ja auch schon allen Ernstes vorgeschlagen worden ist. Was ein solcher Schritt aber möglicherweise bedeutet, wird leider an unserem dritten Beispiel klar:

 3. Wenn es den Versicherungen gelingt, den Test zur Pflicht zu machen, dann werden auch verschiedene Arbeitgeber wie Fluggesellschaften, Krankenhäuser und Pflegeheime, Kindergärten, Schulbehörden, Verkehrsunternehmen, Polizei, Lebensmittelgeschäfte, gastronomische Betriebe usw. die gleiche Auswahlmöglichkeit für sich verlangen. Man wird also allenthalben nur noch Testnegative einstellen wollen. Das heißt aber nichts anderes, als daß die Testpositiven am Ende unbeschäftigt und ohne Versicherungsschutz bleiben. Damit aber muß sich die Nation auf ein neues Riesenheer von unversicherten Arbeitslosen einrichten. Diese neuen „Aussätzigen“ werden aber zwangsläufig zu Sozialfällen, die für immer von der öffentlichen Hand in den Mund leben müssen. Kann das der Wähler wollen? Das kann er nicht wollen, denn er selbst ist es ja, der dann als Steuerzahler zur Kasse gebeten wird.

 Wiederum ist die Lage in der Bundesrepublik etwas anders (diesmal zu ihren Gunsten), da hier das soziale Versorgungsnetz sehr viel weiter gespannt und dichter geknüpft ist als in Amerika. Dennoch, im Prinzip muß auch der deutsche Wähler an die sozialen und finanziellen Folgen einer um sich greifenden „Testwut“ denken. Wenn man zum Beispiel wirklich versuchen wollte, die gesamte Bevölkerung zu testen, dann wäre das ja nur durch die anschließende Isolierung der Testpositiven gerechtfertigt. Eine „Isolierung der Aids-Kranken“ in Deutschland hat denn auch der Vorstand des Bundesverbandes der Ortskrankenkassen, Willi Heitzer, bereits gefordert. Der Sachlogik nach müssen hier aber die ARC-Patienten und auch die symptomfreien Testpositiven mitgemeint sein, und diese letzteren zählen bereits in die Tausende, Zehntausende oder gar Hunderttausende. (Genaues weiß man nicht. In den USA werden zur Zeit etwa zwischen 500000 und zwei Millionen Infizierte geschätzt.) Mit anderen Worten, die Isolierung von Ansteckungsfähigen ist nur zu rechtfertigen, wenn alle erfaßt werden. Wenn aber alle erfaßt werden sollen, dann muß die ganze Nation getestet werden. Die Durchtestung der ganzen Nation wiederum ist aber nur durch die anschließende Isolierung der Testpositivenzu rechtfertigen. Da nun jedoch die Ansteckungsfähigkeit wahrscheinlich ein Leben lang besteht, müßten alle diese Männer, Frauen und Kinder lebenslang isoliert werden. Das wäre nur durch die Errichtung neuer Konzentrationslager möglich. Reden wir hier erst gar nicht von Moral und Menschenwürde oder gar von Gerechtigkeit, und fragen wir nur: Wer soll das alles bezahlen? Die ungeheuren Kosten dieser Lager wären ja nur teilweise dadurch zu senken, daß man etwa Dachau und Bergen-Belsen renoviert und wiedereröffnet.

 Das wäre aber nicht die einzige praktische Frage. Selbst von den meisten technischen Problemen des Tests abgesehen, ist ja auch ein negatives Ergebnis noch nicht unbedingt schlüssig. Sicherheit erhält man nur, wenn in etwa 2 bis 6 Monaten noch einmal nachgetestet und das gleiche Ergebnis erzielt wird. In der Zwischenzeit dürfen sich die Testpersonen aber natürlich keiner neuen Ansteckungsmöglichkeit aussetzen. Es dauert ja eine Weile, bis sich die gesuchten Antikörper bilden, und so könnte trotz einer inzwischen erfolgten Ansteckung auch der zweite Test falsch negativ ausfallen. Erst ein dritter Test würde dann Gewißheit bringen, und zwar auch nur unter der Voraussetzung, daß diesmal nach dem zweiten keine Ansteckung erfolgt ist. Diesem Problem kann man theoretisch nur durch zwei Maßnahmen entgehen:

 1. Man sperrt nicht nur sofort alle Testpositiven ein, sondern auch alle Testnegativen, und zwar so lange, bis man ihnen einen zweiten Test verabfolgen kann. Praktisch scheidet diese Maßnahme aber aus, denn die Einsperrung der gesamten Bevölkerung ist offensichtlich unmöglich.

 2. Man testet alle Testnegativen (d. h. immer noch die überwältigende Mehrheit) routinemäßig alle 6 Monate neu - eine endlose wahre Testorgie, die dann wohl alle deutschen Gelder für die öffentliche Gesundheit verschlingen wird.

 Was will man aber wirklich mit den Testpositiven anfangen? Wenn man sie schon im eigenen Lande nicht benachteiligen will, soll man sie dann wenigstens an Auslandsreisen hindern? Oder soll man umgekehrt testpositiven Ausländern die Einreise verbieten? Der westafrikanische Staat Liberia verlangt bei Visumsanträgen heute schon den Nachweis der „Nichterkrankung an Aids“. Logischerweise müßte dies natürlich auf alle Infizierten ausgedehnt, d. h. ein „Aids-Virus-Antikörper-Test“ für alle Besucher des Landes verlangt werden. Testpositiven könnte man dann z. B. den scharlachroten Buchstaben „A“ (für Aids) in den Paß stempeln, damit andere, ähnlich besorgte Länder die leidige Prozedur nicht wiederholen müssen. Übrigens, wenn es in Europa soweit kommen sollte, will man dann die Freizügigkeit wenigstens innerhalb der europäischen Gemeinschaft erhalten, oder will man auch hier den Testpositiven gegenüber die Grenzen dicht machen? Was sollen die Schweiz und Österreich tun?

 Weiter, wenn man nun die amerikanischen Soldaten testet, wird man dann nicht auch ihre deutschen, italienischen, französischen und-holländischen Kameraden testen müssen, da sie doch im Verteidigungsfall alle zusammen kämpfen sollen und aufeinander angewiesen sind, z. B. beim gegenseitigen Blutspenden, bei Verwundungen im Feld? Werden aber die Holländer etwa hier mitspielen, die doch eine viel liberalere Einstellung haben als einige ihrer Nachbarn? Ist das Thema überhaupt schon innerhalb der NATO besprochen worden?

 Aber vergessen wir das Militär! Wie steht es mit der Familiengründung? Sollen Brautleute künftig vor der Hochzeit einen Test voneinander verlangen, etwa nach dem Motto: „Drum prüfe, wer sich ewig bindet, ob sich nicht Aids im Blute findet?“ Und sollen solche gegenseitigen Forderungen Privatsache bleiben, oder will der Staat daraus eine Pflicht machen und dann den Testpositiven die Ehe verbieten?

 Andererseits, wenn man überhaupt niemanden einsperren, am Reisen oder am Heiraten hindern will, hat man dann wenigstens die Absicht, alle Testpositiven gezielt zu beraten, damit sie ihr Sexualverhalten ändern und ihre Partner nicht mehr anstecken? Wenn man aber diese Absicht hat, warum wird dann nicht schon heute ein entsprechendes Beratungsnetz aufgebaut? Ja, warum fehlen immer noch selbst einfache medizinische Fortbildungskurse, in denen eine solche Sexualberatung gelernt werden könnte? Oder glaubt man allen Ernstes, die Ärzte könnten das schon? Oder glaubt man, es sei da mit ein paar Merkblättchen getan?

 Die weltfremde Wissenschaft

 Hier sind vor allem auch sexualwissenschaftliche Kenntnisse unverzichtbar. Im Falle von Aids sind daher eindeutig interdisziplinäre Studiengruppen gefordert, denn anders wird man der Komplexität des Themas nicht gerecht. Außerdem müßten die Gruppen international besetzt sein, nicht nur weil Aids ein weltweites Problem ist und Fragen des internationalen Rechts aufwirft, sondern auch vor allem, weil in einigen Ländern, besonders den USA, schon erhebliche praktische Erfahrungen vorliegen, die man so bald wie möglich nutzen sollte.

 Sehr seltsam ist auch das bisherige Desinteresse der deutschen Psychologen. Einerseits beklagen sie ihre verbauten Zukunftschancen und düsteren Berufsaussichten, andererseits aber weigern sie sich, die seit Jahrzehnten größte Marktlücke überhaupt nur zu sehen, die sich jetzt vor ihnen auftut. Kaum ein deutsches Psychologisches Institut bietet heute seinen Studenten Kurse in der Beratung und Betreuung von Aids- und ARC-Patienten und Testpositiven an. Dabei fällt gerade der psychologischen Stützung dieser ständig wachsenden Gruppe die entscheidende Rolle beim Kampf gegen die Krankheit zu. Das kann die Ärzteschaft allein keineswegs leisten; sie braucht also die Mitarbeit von Psychologen, auch wenn sie das im Augenblick vielleicht noch für überflüssig hält.

 Überhaupt ist die Medizin - wiederum von den erwähnten Ausnahmen abgesehen - bisher erstaunlich tatenlos geblieben. Vor allem ihre verschiedenen Standesvertretungen haben sich kaum gerührt, und ihre Fachpresse hat die Gefahren eher heruntergespielt. Dies kann sich aber sehr bitter rächen, denn die Behörden geraten nun zunehmend unter Handlungsdruck und fällen deshalb schon Vorentscheidungen, die am Ende auch den medizinischen Handlungsspielraum definieren werden. Anders gesagt: Die nichtmedizinischen Auswirkungen der Epidemie werden zum großen Teil bestimmen, was man medizinisch gegen sie tun kann. Ob das dann immer im Sinne der Ärzte ist, steht keinesfalls fest.

 Andererseits ist aber die heutige, hochtechnisierte „Notfallmedizin“ kaum auf eine umfassende, sozialpsychologische Vorbeugung eingerichtet. Vor allem im Bereich der Sexualität fehlt es den Ärzten allgemein an Kenntnissen, und nur sehr wenige sind in der Lage, mit ihren Patienten ein sachliches und informatives Gespräch über deren Sexualleben zu führen. Wie sollen sie nun aber die Aufgabe meistern, diese Patienten zu einer dauerhaften Änderung ihres Sexualverhaltens zu bringen? Und vergessen wir nicht, daß viele der ersten Aids- und ARC-Patienten sowie der symptomfreien Testpositiven homosexuelle und bisexuelle Männer, Drogenabhängige, Prostituierte und deren Sexualpartner sind! Hier werden zweifellos besondere ärztliche Fortbildungskurse nötig. Auch nach dieser besonderen Fortbildung müssen die Ärzte aber vor allem gegenüber den Behörden, Arbeitgebern und Versicherungen eifersüchtig über ihr besonderes Vertrauensverhältnis zu den Patienten wachen, das man nun überall und immer wieder wird aushöhlen und schwächen wollen. Jeder Arzt weiß aber aus Erfahrung, daß gerade bei Geschlechtskrankheiten ohne dieses Vertrauensverhältnis die Schlacht für die Medizin verloren ist.

 Man bekommt den Eindruck, daß sich bei dem Problem Aids leider alle, nicht nur die Mediziner, auf eine rein technische Lösung verlassen, einen Impfstoff, ein Medikament, das irgendwann von irgendwem irgendwo und irgendwie entwickelt wird. Natürlich müssen wir hoffen, daß dies sobald wie möglich geschieht, und wir sollten auch dafür sorgen, daß die nötigen Forschungsgelder reichlich fließen. Nur darf diese Hoffnung nicht zur Ausrede für die heute unterlassene Vorbeugung werden, und auch sie kostet Geld. Einen Teil dieser Gelder - zumindest 10 bis 15 % - sollte man also ausdrücklich für die Vorbeugung abzweigen, sonst holen auch die größten Forschungserfolge die Entwicklung nicht mehr ein.

 Wie leicht sich hier die Gewichte verschieben, zeigte sich leider bei der großen Aids-Konferenz, die im April 1985 von der Weltgesundheitsorganisation in Atlanta veranstaltet wurde. Dort hörten über 2000 Teilnehmer aus der ganzen Welt drei Tage lang virologische und epiderniologische Vorträge. Das Thema Vorbeugung aber wurde kaum behandelt, und vor allem die erheblichen Anstrengungen der Risikogruppen zur Selbsthilfe, ihre Änderung des Sexualverhaltens und modellhafte Aufklärungsprogramme wie etwa die San Franciscos wurden entweder gar nicht oder nur am Rande erwähnt. Das verärgerte nicht nur viele Anwesende, die es besser wußten, sondern signalisierte auch leider den anderen, daß eine nichtmedizinische Vorbeugung unwichtig oder gar sinnlos ist. Diese internationale Demonstration medizinischer „Fachidiotie“ ist leider kein gutes Omen für den zukünftigen Erfolg selbst der Medizin. Gerade die Aids-Krise mit ihren vielfältigen Implikationen macht sehr deutlich, daß auch die Ärzte ihren Blickwinkel erweitern müssen, und daß "Schmalspurwissenschaftler" gleich welcher Couleur ernsten Sozialproblemen gegenüber hilflos sind.

 Und Aids ist ein Sozialproblem - nicht nur wegen der ungeheuren finanziellen Kosten seiner immer noch vergeblichen medizinischen Behandlung -, sondern vor allem durch die Angst, die es in der Bevölkerung erzeugt. Diese Angst kann leicht zu irrationalen Reaktionen und repressiven Maßnahmen führen, die alles nur verschlimmern. Ist der amtliche Schritt in die Unvernunft aber erst einmal getan, so wird es für die aufgeschreckten Wissenschaftler sehr schwer, sich Gehör zu verschaffen. Andererseits haben dann diese Wissenschaftler aber auch ihr Recht verwirkt, sich über behördliche „Repression“ zu beschweren, da sie sich ja selber nicht mit dem Thema befaßt und die Behörden im Stich gelassen haben.

 An dieser Stelle muß man auch noch einmal die Zerstörung der deutschen Sexualwissenschaft durch den Nationalsozialismus beklagen. Vor Anbruch des Dritten Reiches gab es z. B. in Berlin eine interdisziplinäre und international ausgerichtete Zeitschrift für Sexualwissenschaft und Sexualpolitik, die alle sexologisch relevanten Probleme von jedem erdenklichen Standpunkt aus diskutierte. Für sie schrieben also nicht nur Mediziner, sondern auch Psychologen, Juristen, Ethnologen, Soziologen, Pädagogen und Vertreter vieler anderer Fachrichtungen. Gäbe es diese damals weltweit führende Monatsschrift noch, so hätte sie die Krankheit Aids längst in all ihren Dimensionen dargestellt und so den Politikern die notwendigen Informationen geliefert. Nicht nur das: Sie hätte auch die verschiedensten Wissenschaftler zu einer laufenden Zusammenarbeit gebracht.

 Noch schmerzlicher ist der Verlust des ersten Instituts für Sexualwissenschaft in Berlin, das 1933 von den Nazis geplündert und geschlossen wurde. Sein Gründer, Magnus Hirschfeld, war vielleicht kein brillanter Denker vom Range Max Webers oder Sigmund Freuds; er war aber ein glänzender Organisator und unermüdlicher Kämpfer, der vor allem den engsten Kontakt zu allen sexuellen Minderheiten pflegte. Gleichzeitig unterhielt er auch noch gute Beziehungen zu den Behörden, besonders der Polizei, ohne jedoch das wohlverdiente Vertrauen der Minderheiten zu verlieren. Gäbe es heute in Berlin Hirschfelds Institut noch, so stünde man bei der Aids-Krise wahrlich anders da.

 Die zur Zeit in Berlin etablierte Wissenschaft ist längst zu „vornehm“ geworden, um sich der „Schwulenszene“, den Prostituierten, Pornoläden- und Saunenbesitzern zu widmen. Umgekehrt wäre sie selber aber auch in diesen Kreisen unglaubwürdig und ohne Einfluß. Die in der Weimarer Republik, ja schon in wilhelminischer Zeit herrschende Tradition sozial engagierter Sexologen ist immer noch nicht nach Berlin zurückgekehrt - ein fortdauernder Sieg Hitlers, den man ihm erst noch entreißen muß.

 Die ratlosen Behörden

 Die bisher unberatenen und lange ratlosen deutschen Behörden haben die Gefahr von Aids anfänglich unterschätzt und deshalb viel wertvolle Zeit verloren. Erst seit einiger Zeit hat man einige beherzte erste Schritte getan. Rühmlich hervorzuheben ist da besonders die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, die schon im Frühjahr 1985 unter ihrer damaligen Leiterin Frau Dr. Canaris guten Kontakt zu den Risikogruppen fand, Aufklärungsmaterial vorbereitete und die Wege für eine Finanzierung verschiedener Selbsthilfemaßnahmen ebnete. Die neue Leiterin, Frau Dr. Pott, führt diese vielversprechenden Ansätze fort. Noch erfreulicher sind einige neue, spezifische Initiativen wie z. B. die städtische „Aids Task Force“ des Berliner Gesundheitssenators Fink und die „konzertierte Aktion“ gegen Aids des hessischen Sozialministers Clauss, die Mediziner, Vertreter verschiedener Ministerien, Berufsverbände, der Gewerkschaften, Krankenkassen und Risikogruppen zusammenrief. Diesen konstruktiven, wenn auch noch unkoordinierten Versuchen sollten alsbald viele weitere folgen; nur hat es damit einige Schwierigkeiten.

 Wie die amerikanischen Erfahrungen zeigen, entwickeln die sozialpsychologischen „Nebenprobleme“ von Aids sehr schnell eine überraschende Eigendynamik, die immer schwieriger zu kontrollieren ist. Das fängt an bei Elternprotesten, die ihre Kinder massenhaft aus der Schule fernhalten, weil dort einige Aids-kranke Schüler zugelassen worden sind; das setzt sich fort in Überlegungen, ob man nach einer Durchtestung aller Strafgefangenen besondere Aids-Gefängnisse bauen soll, und das endet schließlich bei gerichtlichen Klagen, mit denen sich Alten- und Pflegeheime gegen die Einweisung von Aids-Pflegefällen wehren. Selbst Krankenhäuser haben schon sterbende Aids-Patienten abgeschoben, Hausbesitzer ihnen die Wohnung gekündigt, Freunde sie verlassen und Familien sie verstoßen. Die Stadtverwaltung von San Francisco hat nun eigene Sterbehäuser für diese Obdachlosen eingerichtet, und die katholischen Erzbistümer San Francisco und New York sind dabei, das gleiche zu tun.

 Diese Entwicklungen, die nur Vorzeichen noch schlimmerer Dinge sind, hätte auch vor sehr kurzer Zeit niemand vorhergesagt. Wenige Ämter, ob auf städtischer, Landes- oder Bundesebene, sind darauf vorbereitet. Man improvisiert also, hier so und dort anders. Der Staat Kalifornien hat die Vertraulichkeit des Aids-Virus-Antikörpertests gesetzlich verankert. Die Stadt New York erschwert überhaupt schon den Zugang zum Test selbst, San Francisco erleichtert ihn. Los Angeles verbietet jede Diskriminierung gegen Aids-Kranke, aber schon die Nachbarstädte bieten diesen Schutz nicht mehr. Bis sich hier eine verläßliche und humane gemeinsame Linie bildet, werden sich noch viele menschliche Tragödien abspielen.

 In der Bundesrepublik mag das alles einfacher sein, aber doch wohl nur, wenn man jetzt sofort anfängt, sich über die Zukunft Gedanken zu machen. Außerdem nützen hier ja auch wohl nationale Alleingänge nichts, sondern man muß sich auch mit den Nachbarländern, besonders denen der europäischen Gemeinschaft, abstimmen. Auf irgendwelche integrativen Anstöße der verschieden tief schlummernden nationalen Wissenschaftsbetriebe kann man dabei wohl nicht warten.

 Gefordert sind also zunächst einmal nationale und internationale Information, Koordination und Kooperation. Die bisherigen spontanen Lokalinitiativen sind nicht nur unzureichend, sondern drohen auch, zu allgemeiner Verwirrung, ja endlich zu offenen Widersprüchen zu führen. So wäre es z. B . nicht besonders günstig, wenn einige Stadt-oder Länderparlamente Modellprogramme entwickelten und die Bundesregierung einfach überholten. Vielmehr sollte die Führungsrolle bei einer zentral plazierten Stelle liegen, möglichst sogar bei einer übernationalen, gesamteuropäischen Institution. Nur so vermeidet man die wachsende und sehr gefährliche Verunsicherung der Öffentlichkeit.

 Inzwischen haben aber die Behörden auf jeder Ebene die Verpflichtung, sich selber sachkundig zu machen und dann untereinander abzustimmen. Vor allem aber sollte man verhindern, daß Aids zum parteipolitischen Streitpunkt wird. Das Virus kennt keine Parteien, Religionen, Nationalitäten oder sexuellen Orientierungen. Am Ende wird sich schon zeigen, daß dieser Gefahr gegenüber die Interessen aller Bürger identisch sind. Vor Aids kann man niemanden auf Kosten eines anderen schützen.

 Die hilflosen „Risikogruppen“

 Während im mutmaßlichen Aids-Ursprungsland Afrika heterosexueller Kontakt anscheinend die Hauptinfektionsquelle bildet und Männer wie Frauen gleicherweise betroffen sind, hat sich die Krankheit in den westlichen Industrieländern zunächst unter homosexuellen Männern und intravenös spritzenden Drogenabhängigen verbreitet. Diese zufälligen Einstiegsgruppen für das Virus sind aber weder genau voneinander noch vom Rest der Bevölkerung abgrenzbar. Die zur Zeit gängige Kategorisierung der Aids-Kranken ist zudem noch aus anderen Gründen kontrovers. So werden z. B. bis heute vom amerikanischen Center for Disease Control in Atlanta nur Heterosexuelle unter die Drogenabhängigen gerechnet; bei Homosexuellen und Bisexuellen wird etwaiger Drogengebrauch einfach ignoriert. Diese willkürliche Entscheidung gibt aber ein völlig falsches Bild von der möglichen Bedeutung des Drogengebrauchs für die Infektion. Auch erscheint dadurch umgekehrt die Bedeutung homosexueller Kontakte größer, als sie vielleicht in Wirklichkeit ist oder jemals war. Andererseits aber wird bei den homosexuellen Kontakten der Anteil der bisexuellen Partner in der Regel weit unterschätzt.

 Überhaupt ist das bisherige Meldesystem insofern kritisierbar, als es auf unzureichenden Informationen über die Sexualpraktiken beruht, durch die das Virus übertragen worden sein soll. Eine wirkliche „sex history“, d. h. ein erschöpfendes Interview im Sinne Kinseys ist in keinem einzigen Fall aufgenommen worden. So verbergen sich etwa hinter der Klassifizierung „homosexuelle und bisexuelle Männer“ völlig verschiedene Leute mit völlig verschiedenem Sexualverhalten, vom „fixenden“ Strichjungen bis zum biederen Familienvater, der sich ein einziges Mal auf einer Herrentoilette mit einem Fremden eingelassen hat. Die jetzige Aids-Statistik macht hier keinerlei Unterschiede. Sie legt im Gegenteil den Gedanken nahe, daß diese ganze Risikogruppe mit einer irgendwie konzipierten „Schwulenszene“ identisch ist, und daß man nur diese Szene in den Griff zu bekommen braucht, um die Ausbreitung der Epidernie zu verhindern. Das wäre aber ein großer Irrtum, denn homosexuelles Verhalten ist keineswegs auf sogenannte Homosexuelle in irgendeiner „Szene“ beschränkt. Das muß man also auch bei der Aids-Aufklärung bedenken, die deshalb von vornherein breit genug angelegt werden muß. Die Rede von bestimmten „Risikogruppen“ ist daher in vieler Hinsicht problematisch. Wenn man dennoch an der Klassifizierung festhält, dann vor allem aus taktischen Gründen: Es erleichtert den Zugang für spezifische Vorbeugungsprogramme. Man erreicht sofort viele besonders gefährdete und auch interessierte Leute und kann dann auf dieser Basis weiterbauen.

 Obwohl bisher in keiner Statistik gesondert aufgeführt, sind neuerdings auch die Prostituierten als gefährdete Gruppe erkennbar geworden. Jedenfalls haben einige deutsche Gesundheitsämter sie bereits als solche behandelt und so vollständig wie möglich getestet. Den Testpositiven hat man dann „Berufsverbot“ erteilt. Sehen wir einmal von der Frage ab, wie man ein solches Verbot durchsetzen will (besonders im Falle von „freiberuflichen“, drogenabhängigen Prostituierten), dann bleibt immer noch ein prinzipielles Problem: Was die Ansteckungsfähigkeit angeht, so ist der Unterschied zwischen einer testpositiven Prostituierten und einer testpositiven anderen „lebenslustigen“ Dame mit häufig wechselnden Partnern nur graduell. Was will man aber einer solchen Dame verbieten? Und wie will man die Einhaltung des Verbots kontrollieren? Schließlich: Was für Damen gilt, gilt auch für Herren. Will man etwa das Geschlechtsleben aller testpositiven homosexuellen und bisexuellen Männer überwachen? Dann müßte man sie aber vorher als solche erkannt, d. h. ihr Testergebnis erfahren haben. Das wäre nur durch eine namentliche Registrierung möglich, und diese wiederum würde immer nur auf eine Zufallsauswahl hinauslaufen, wenn man nicht systematisch die gesamte Bevölkerung testet und registriert. Damit stünde man aber endlich wieder in der bereits besprochenen finanziellen und sozialpolitischen Sackgasse mit Arbeitslosigkeit, Reisebeschränkungen oder gar Konzentrationslagern für die einen und ewig wiederholten Tests für die andern.

 Dies Beispiel sollte noch einmal deutlich machen, daß das Problem mit Registrierungs-, Isolierungs- und Zwangsmaßnahmen nicht zu bewältigen ist. Anstatt sich also auf die totale Erfassung der testpositiven Prostituierten und ein wirksames „Berufsverbot“ zu verlassen, muß man sie und ihre potentiellen Kunden darüber aufklären, wie sie sich selber schützen können. Anstatt die Illusion zu schüren, man könne alle testpositiven Homosexuellen überwachen, muß man allen - ob testpositiv oder -negativ - beim Selbstschutz helfen. Anstatt „schwule“ Bars und Saunen zu schließen, muß man sie zu Informationszentren umfunktionieren, zu Orten der positiven Motivation. Das alles hängt natürlich von der freiwilligen und begeisterten Mitarbeit der Betroffenen ab, die aber durchaus erreichbar ist. Man muß es nur sachkundig anfangen.

 Die Behörden selbst können keine umfassende Aufklärung leisten und vor allem auch nicht die in vielen Fällen nötige Drastik entwickeln. Hier sind sehr verschiedene „milieugerechte“ Kenntnisse gefordert, Druckerzeugnisse im „Szenenjargon“ und Informationsteams, die „vor Ort“ tätig werden. Allein schon aus Gründen der Glaubwürdigkeit und Effizienz verbietet sich hier die direkte Initiative von Regierungsstellen. Es ist aber überhaupt unsinnig und unbillig, von Gesundheitsministern und anderen Politikern zu verlangen, sie sollten dem Volk kraft ihres Amtes sofortige Abstinenz, „Treue“ oder bestimmte sexuelle Techniken empfehlen. Das kann nur zu fruchtlosen politischen Streitereien führen. Statt dessen muß man eine weitgehend unabhängige, teils staatliche, teils private Organisation schaffen. Diese kann dann, auch mit Steuergeldern großzügig unterstützt, die Aufklärungsarbeit übernehmen. Teil der Arbeit kann dann auch die Finanzierung und Beratung von Selbsthilfegruppen sein. Das ist um so notwendiger, als die bisher betroffenen Gruppen kaum wirkungsvoll organisiert sind. Auch besitzen sie wenig politische und Medienerfahrung. Viele ihrer Aktivitäten machen daher immer noch den Eindruck von Laientheater. Andererseits sind aber ihre besonderen Erfahrungen in verschiedenen „Szenen“ unschätzbar, und so ist hier eine konstruktive Zusammenarbeit aller Interessenten nicht nur möglich, sondern praktisch vorprogrammiert. Dafür muß man zunächst die einzelnen „Risikogruppen“ irgendwie unter professioneller Führung zusammenbringen.

 Die aufgeschobene Vorbeugung

 Vorbeugen muß man gegen zweierlei - gegen die Krankheit selbst und gegen Panikreaktionen bei der Bevölkerung und bei Behörden. In beiden Fällen hilft nur ein einziges Mittel - klare Information. Nur sie kann zu vernünftigem privatem und öffentlichem Handeln führen.

 Selbst die beste Information führt aber noch nicht automatisch zu solchem Handeln, vielmehr müssen gleichzeitig auch seine individuellen und sozialen Voraussetzungen geschaffen werden. Mit anderen Worten, das Handeln muß zuerst erlernt und eingeübt, dann gesellschaftlich akzeptabel gemacht und somit organisiert werden. Zeitungsartikel, Fernsehberichte, Plakate, selbst ausführliche Druckschriften oder Vorträge allein reichen nicht aus. Sie können nur notwendige erste Schritte sein. Eine Änderung des Sexualverhaltens ist für die meisten Menschen nicht durch rein intellektuelle Einsicht und einsame Entschlüsse möglich. Sie erfaßt erst dann eine genügende Anzahl (und wird damit erst statistisch relevant), wenn sie durch eine starke Gruppensolidarität, durch allgemeine Erwartungshaltungen gestützt wird. Der Durchschnittsbürger wird erst dann zu ansteckungssicheren Sexualpraktiken übergehen, wenn er deswegen von potentiellen Partnerinnen und Partnern nicht mehr beargwöhnt, belächelt oder gar abgewiesen wird.

 Es ist aber gerade die gesellschaftliche Organisierung des neuen Sexualverhaltens, die bei vielen auf Ablehnung stößt, weil sie dahinter die erstarkende Hand eines „großen Bruders“ und einen Machtzuwachs für sexuell repressive Kräfte wittern. Diese Sorgen sollten sich bei genauerer Überlegung aber als unbegründet erweisen, denn nichts baut repressiven amtlichen Maßnahmen besser vor als der in Bürgerinitiative freiwillig durchgeführte sexuelle Selbstschutz.

 Gerade auf diesem Gebiet haben einige amerikanische Städte, allen voran San Francisco, viel Erfahrung gesammelt und Erhebliches geleistet. San Francisco mit etwa 700 000 Einwohnern ist kleiner als Hamburg, München oder West-Berlin und hat bisher über 2000 Aids-Fälle zu beklagen, von denen etwa die Hälfte schon verstorben ist. Zur Zeit werden in der Stadt täglich drei Neudiagnosen und zwei Todesfälle von Aids gemeldet. Man fürchtet eine Verdoppelung dieser Zahlen im Laufe des nächsten Jahres, dann eine weitere Verdoppelung bis Ende 1988 und so weiter. Angesichts dieser geometrischen Progression der Epidemie hat sich die Stadtverwaltung schon vor längerer Zeit entschlossen, ein großes Spektrum von Vorbeugungsmaßnahmen zu finanzieren. Diese Programme werden von einer besonderen Aufklärungsorganisation, der San Francisco Aids Foundation, entwickelt, getestet, durchgeführt und kontrolliert. Dafür stehen ihr im diesjährigen städtischen Haushalt etwa 1 Million Dollar zur Verfügung. (Dazu kommen noch weitere 900000 Dollar aus privaten Spenden.)

 Die Aufklärung beginnt mit verschiedenen Druckschriften in mehreren Sprachen (Englisch, Spanisch, Chinesisch, Tagalog) für bestimmte Gruppen wie homosexuelle und bisexuelle Männer, Drogenabhängige, Frauen, Jugendliche und deren Freunde und Familien. Sie setzt sich fort in Telefonauskunft, öffentlichen Vorträgen, Diskussionen und Interviews, in der Organisation der Aids-Patienten, deren sozialer Betreuung und der Sammlung von Nahrungsmitteln. Weiter veranstaltet die S. F. Aids Foundation besondere Aufklärungsseminare über die neuesten Forschungsergebnisse, die Problematik des Antikörper-Tests und auch über „sicheren Sex“ für Homosexuelle und Heterosexuelle. Schließlich werden noch private Gesprächszirkel im Schneeballsystem organisiert. Das gesamte Programm ist zu vielfältig selbst für eine Zusammenfassung an dieser Stelle; es gilt aber als modellhaft und wird nun mit Recht in anderen amerikanischen Städten nachgeahmt. Auch in Europa täte man gut daran, diese sehr erfolgreiche Vorbeugungsarbeit zu studieren.

 San Francisco unterstützt außerdem eine Betreuungsorganisation von freiwilligen Sterbebegleitern für Aids-Kranke (Shanti) und eine medizinische Sterbebegleitung zu Hause. Dies ist nicht nur wesentlich billiger als eine Stationierung im Krankenhaus, sondern vor allem auch in jeder Beziehung humaner und wird deshalb von den Patienten selber gewünscht.

 Es ist hier nicht möglich, die vielen anderen Pionierleistungen San Franciscos bei der Aids-Bekämpfung darzustellen. Nur einige wichtige neue Projekte seien noch kurz erwähnt: Unsere San Francisco State University organisierte im November 1985 die erste „Aids-Vorbeugungs-Konferenz“ unter Mitarbeit vieler Professoren, der gesamten Studentenschaft, der San Francisco Aids Foundation, städtischer Behörden, verschiedener Berufsverbände und Spezialisten aus mehreren Forschungsgebieten. Diese Konferenzwoche enthielt auch Kurse über ansteckungssicheres Sexualverhalten, private Diskussionskreise in Studentenwohnheimen sowie Video-, Film- und Theatervorführungen zum Thema Aids. Es war dies die erste Veranstaltung ihrer Art überhaupt, und auch sie erfüllte den doppelten Zweck, nicht nur die Krankheit selbst zu bekämpfen, sondern auch die durch sie ausgelöste öffentliche Hysterie. Entsprechende „Aids-Vorbeugungswochen“ sollten daher so bald wie möglich an allen amerikanischen und europäischen Universitäten durchgeführt werden.

 Unsere private sexologische Hochschule, The Institute for Advanced Study of Human Sexuality, wurde ebenfalls zunächst durch ihre Studenten in die Aids-Bekämpfung hineingezogen. Einige von ihnen engagierten sich zum Beispiel spontan in der freiwilligen Betreuung von Aids-Kranken und bei der Telefonauskunft. Bald aber forderten und begannen sie auch eigene Forschungsprojekte. So entstehen zur Zeit bei uns Dissertationen etwa über das Sexualverhalten von Männern nach ihrer Aids-Diagnose und die mögliche Infektionsrate bei Mitgliedern heterosexueller Sex Clubs. Einige Dozenten wiederum bildeten einen Arbeitskreis (Sexologisches Gesundheitsprojekt), der in Verbindung mit der San Francisco Aids Foundation an vielen Orten der Stadt Kurse über „sicheren Sex“ durchführte, und zwar gezielt jeweils für Homosexuelle, Heterosexuelle, Bisexuelle und besondere Untergruppen wie etwa Sadomasochisten. Das Institut selbst stellte entsprechendes Aufklärungsmaterial her (Merkblätter, Broschüren, Videokassetten) und nahm Vorträge verschiedener medizinischer, psychologischer und juristischer Fachleute in seinen Lehrplan auf. Das Institut wird seither auch immer häufiger von Besuchern aus Deutschland, der Schweiz, Dänemark, Schweden, Finnland und Italien um Rat und Hilfe gebeten. Dieser möglichen Zusammenarbeit sind aber leider noch sehr enge finanzielle Grenzen gesetzt.

 Die Finanzierung aller Aids-Prograrnme ist übrigens auch innerhalb San Franciscos selbst nach wie vor ein Problem. Die von der Stadt offiziell bewilligten, erheblichen Mittel reichen keinesfalls aus und müssen durch ständige Spendenaufrufe und Wohltätigkeitsveranstaltungen aufgebessert werden. Dabei erweisen sich die Bürger unserer Stadt oft als außerordentlich erfinderisch und großzügig - Radrennen, Langläufe, Circus, Rock-Konzerte, Verlosungen, Modeschauen usw. führen immer wieder erhebliche Einnahmen an die verschiedenen Aids-Programme ab. Unsere Oper erzielte mit einem Benefizkonzert -bei Teilnahme großer Stars wie Renata Scotto und Alfredo Kraus - an einem einzigen Abend 400000 Dollar, die zwischen Aufklärungs- und Betreuungsorganisationen aufgeteilt wurden.

 Aber auch kleine und mittlere Betriebe und große Konzerne spenden Geld, sowohl für städtische wie für eigene Programme. So haben z. B. mehrere große Firmen (wie Levi Strauss) besondere Aufklärungskurse für ihre Arbeiter und Angestellten finanziert. Diese Kurse werden ebenfalls von der San Francisco Aids Foundation auf dem Firmengelände abgehalten. Sie sorgen für Verständnis im Betrieb, für humane und rationale Entscheidungen, wenn Mitarbeiter an Aids erkranken, und beugen möglicher Diskriminierung am Arbeitsplatz vor.

 Der Vorbeugung gegen Angst und Vorurteile widmet sich auch unsere Presse, besonders unsere beiden großen Tageszeitungen, die San Francisco Chronicle und der San Francisco Examiner. Beide Blätter sind politisch nach deutschen Begriffen äußerst konservativ, in Sachen Aids aber von einer Liberalität, die in der Bundesrepublik schockierend wirken würde. Nicht nur beschäftigen sie offen homosexuelle Reporter und Autoren, sondern sie liefern auch einen ständigen Strom von Informationen, Berichten und Kommentaren, die das Problem für jedermann in seiner ganzen Komplexität begreiflich machen und die andernorts manchmal vorgeschlagenen simplistischen "Lösungen" ad absurdum führen. Gleichzeitig betonen sie immer wieder das Prinzip der Vorbeugung und scheuen dabei auch nicht vor früher tabuierten sexuellen Details zurück.

 Das gilt natürlich noch mehr von der seit vielen Jahren etablierten „schwulen“ Presse, deren Erzeugnisse, durch Anzeigen finanziert, überall in San Francisco kostenlos ausliegen. Hier wurde Aids von Anfang an sehr verantwortungsvoll und detailliert behandelt. Vor allem der Gedanke des „sicheren Sex“ kam ja ursprünglich von der „Basis“ her, also aus der „Schwulenszene“ selbst und mußte zunächst gegen erhebliche offizielle Widerstände durchgesetzt werden. Erst die „schwule“ Geschlossenheit in diesem Punkt zwang die Behörden endlich zum Nachgeben und führte dann zu amtlicher Unterstützung. Kurz, die Aids-Vorbeugungskampagne verlief in San Francisco völlig anders als in Deutschland, wo sie noch als obrigkeitliche Repressionsmaßnahme beargwöhnt wird und sogar die „Szene“ zu spalten droht. In den USA hat aber noch kein einziger „Schwuler“ die Vorbeugung abgelehnt oder verteufelt. Im Gegenteil: Die einzige Frage der amerikanischen Homosexuellen ist immer nur die nach der praktischen Durchführung gewesen. Natürlich spiegelt sich in diesem Unterschied auch die größere Freiheit und das größere Selbstbewußtsein der amerikanischen „Schwulenbewegung“ wieder. Damit verglichen sind die entsprechenden deutschen Versuche ja relativ zersplittert und ohnmächtig geblieben.

 Schließlich sollte man auch noch unsere lokalen Fernsehstationen erwähnen, die nach anfänglich peinlichem Versagen heute mustergültig informieren. Eine dieser Stationen tut sich besonders hervor mit regelmäßigen, didaktisch geschickt aufgebauten Dokumentarsendungen, die dann auch auf Videokassetten für den Unterricht und verschiedene Aufklärungsveranstaltungen zur Verfügung stehen.

 Aus all diesen, zumeist sehr erfolgreichen Versuchen könnte man in Deutschland lernen, obwohl hier und da natürlich kulturell bedinge Änderungen nötig wären. Es gibt aber ein Gebiet, auf dem die Deutschen sofort und ohne große Umsetzungsschwierigkeiten aktiv werden können und sollten -öffentliche, interdisziplinäre Kongresse. Solche Kongresse haben neben ihrem eigentlichen, wissenschaftlichen vor allem auch einen großen pädagogischen Wert, ja, wenn richtig organisiert, sind sie vielleicht das wirksamste Mittel für eine breitere gesellschaftliche Aufklärung. Einen guten Anfang soll der Berliner Vorbeugungskongreß im November 1986 setzen.

 In San Francisco vergeht kein Monat, ja fast keine Woche mehr ohne kleinere oder größere Aids-Konferenzen, die nicht nur die medizinischen, sondern vor allem auch die sozialen Aspekte der Epidemie behandeln. Nur um einige Beispiele zu geben: „Aids und ethnische Minderheiten - politische, juristische und finanzielle Probleme“, „Aids und medizinische Ethik“, „Aids Hoffnung und Hilfe - nationale Konferenz der Episkopalkirche“. Oder in anderen Städten: „Aids und Gesundheitspolitik - Persönlichkeitsrechte, Forschung, Vorbeugung, Finanzierung“ oder „Aids - Medizin, Recht und Versicherungsprobleme“. Diese letztere Konferenz wurde sogar simultan durch Fernsehsatelliten in hunderte amerikanische Städte übertragen, wo Interessierte aus allen akademischen Disziplinen und Berufsschichten an ihr teilnehmen konnten.

 Auf diese Weise werden die ernsten, kontroversen und teilweise äußerst vertrackten Probleme mit Aids von den besten Köpfen der Nation öffentlich ausdiskutiert, wie es sich für demokratische Gesellschaften gehört. Wie soll sich denn auch sonst eine wirklich aufgeklärte öffentliche Meinung bilden? Die hier geleistete, ehrliche Informationsarbeit läßt sich durch keine noch so gut gemeinte Regierungsverlautbarung ersetzen.

 In Deutschland aber scheint man zur Zeit noch vor dieser öffentlichen Diskussion zurückzuscheuen, weil man angeblich die Bevölkerung nicht beunruhigen will. Die Bevölkerung ist aber längst beunruhigt, und je früher man sie in eine wirklich informierte Diskussion hineinzieht, um so eher vermeidet man sonst unausweichliche Angstreaktionen. Aids breitet sich bisher unaufhaltsam weiter aus, ob nun gerade prominente Filmstars oder Kulturphilosophen daran sterben oder nicht. Die Zeit zu handeln ist jetzt.

 


Kommentarer
Postat av: victoria

Haha lördag blir lite tajt om tid ;P och det är så jävla långt dit också ;D men någon gång, då jävlar ska jag åka dit :D

2009-10-08 @ 00:58:49
URL: http://vikkelito.blogg.se/
Postat av: Sam

Sv: Jaha, okej. =) 2an. Du då? =)

2009-10-08 @ 13:22:53
URL: http://samwitt.blogg.se/

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